Ursel Jahn
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Unsere Flucht 1945 

 

von Ursel Jahn, geb. Tanck

 

„Am 5. März 1945 wurde gegen 5 Uhr morgens heftig an unsere Fensterläden gebollert und jemand schrie laut: ‚Der Russe ist in Gollnow, rette sich wer kann!’ Gollnow ist etwa 10 km von Rörchen entfernt.

 

Das war der schreckensvolle Ruf, den wir seit einigen Tagen mit Bangen erwartet hatten -und doch immer in der Hoffnung, dies möge uns erspart bleiben. Er bedeutete, so schnell wie möglich vor den Russen zu fliehen und in Sicherheit zu kommen. Wochenlang hatten wir unter Druck und Spannung gelebt. Werden auch wir die Heimat verlassen müssen? Werden wir noch rechtzeitig rauskommen? Als die Flüchtlingsströme aus Ostpreußen und Ostpommern, die durch unsere Dörfer gezogen waren, aufhörten, ahnten wir, dass nun wir an der Reihe wären. Aber es hieß immer, dass wir nicht heraus dürfen, bevor nicht ein Befehl vom Bürgermeister käme.

 

Nun wurde in aller Eile gepackt. Einiges stand schon seit längerer Zeit bereit, anderes wurde noch eingegraben. Meine Mutter hatte am Abend vorher einen Brotteig angerührt. Das Brot wurde noch gebacken, dann das Haus aufgeräumt und das Wenige, was wir mitnehmen konnten, auf dem Wagen unserer lieben Nachbarin, Frau Sandhoff, die sich bereit erklärt hatte, Mutti und mich mitzunehmen, verstaut. Um die frühe Mittagsstunde des 5. März verließen wir mit Sandhoffs Wagen, dem sich noch Fünf andere Familien aus Rörchen angeschlossen hatten, unser Dorf, in dem wir seit unserem Umzug aus dem Schulhaus in Klein Christinenberg 1919 glücklich und zufrieden gelebt hatten.

Auf der Chaussee reihten wir uns in die große Schlange der Treckwagen ein, die in Richtung Altdamm fuhren. Zu unserem großen Schmerz verloren wir auch noch Waldi, unseren lieben Dackel, er lief zurück - wir haben ihn nicht mehr gesehen.

 

Vor Hornskrug wurden die Trecks auf die Autobahn umgeleitet! Jetzt ging es in Richtung Buchheide zur Oderbrücke. Es war winterlich kalt, in der Nacht hatte es leicht gefroren, die Autobahn war teilweise vereist, in der Buchheide leicht hüglig. Unsere Wagen, für die Ebene gebaut, besaßen keine Bremsen. Die Pferde konnten auf dem Eis oft den Wagen nicht halten; so hatten wir das Pech, dass die Deichsel von Sandhoffs Wagen brach.  Mit Hilfe der Nachbarn konnte sie nochmals notdürftig stabilisiert werden. Gebremst wurde jetzt, indem ein Rad mit der Kette festgestellt wurde. Das war alles mit Aufregung verbunden. Auf der Autobahn fuhren die Wagen in mehreren Reihen auf der rechten  Fahrbahn, die linke  war für die Soldaten frei. Es ging nur im Schritttempo vorwärts, häufig hieß es anhalten. Hier erlebten wir die ersten russischen Tieffliegerangriffe. Sie unterschieden nicht zwischen Zivil und Militär. Wir suchten dann unter dem Wagen ein wenig Schutz, In der Abenddämmerung erreichten wir die Oderbrücke und fanden abends in einem Dorf bei Scheune (wahrscheinlich Kolbitzow) eine Notunterkunft. Wir waren der drohenden Gefahr entronnen, doch nun wurde uns das ganze Elend, in dem wir steckten - und das uns noch erwartete, erst recht bewusst.  In aller Traurigkeit an diesem Abend sprach Herr Rusboldt ein Gebet. Ich werde nie vergessen, welche wunderbare Wirkung dieses Gebet auf unsere verängstigten Gemüter hatte. Es weinte niemand mehr - und wir haben alle auf dem harten Fußboden ein wenig geschlafen.“

 

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