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Aufgezeichnet von Frau Hedwig Goetsch geb. Krämer

 

Nach der Flucht aus Rörchen am 5. März hatte Frau Goetsch in Tribsees eine vorübergehende Aufnahme gefunden. 

 

Am 22. Mai 1945 begaben sich die Familien Faust und Frau Goetsch mit Ihrem Sohn Burkhard von Tribsees auf den Weg, um aus eigener Kraft die Heimat zu erreichen. Der Weg war gesäumt von Entbehrungen, Demütigungen und Plünderungen. Nach fünf Tagen erreichten sie Löcknitz. Hier bot sich ihnen die Möglichkeit, mit einem der ersten Züge nach Stettin-Scheune zu gelangen. An dieser Stelle beginnt der Auszug aus ihren Tagebuchaufzeichnungen.

 

"Gegen Morgen kamen wir in Scheune an. Die Leute, die dort ausstiegen, wurden gleich sehr geplündert. Nun ging es an Stettin vorbei über die Umgehungsbahn nach Altdamm. Am Bahndamm sahen wir den ersten toten deutschen Soldaten. Gegen sieben Uhr waren wir wohl in Altdamm und stiegen dort aus. Unbehelligt können wir auch unser Gepäck aufladen und weiterfahren nach Rörchen. Wir merkten, dass da auf dem Weg der Kampf wohl getobt haben muss. Überall waren auch Russengräber, schön mit rot verziert. Auch einige deutsche Gräber sahen wir, mit glattem Holzkreuz und dem Sterbedatum 12.03. Je näher wir der Heimat kamen, desto unheimlicher wurde es.

In Hornskrug war auch alles ausgebrannt und zerstört. Einige Männer waren da, die uns sagten, dass in Christinenberg Baums geblieben seien. Nun war unser Weg durch Christinenberg nach Rörchen. Bei Baums machten wir Rast. Die Leute freuten sich, uns zu sehen, und haben uns nett bewirtet mit Kaffee und Brot. So gut hat es uns lange nicht geschmeckt. Dann ließen wir das Gepäck bei Baums und gingen erst mal allein, um zu sehen, was uns erwartet.

Es war ein Bußgang für uns alle, durch Schutt und Trümmer, vorbei an Toten und verwestem Vieh. Stellenweise mussten wir uns bei dem Gestank die Nase zuhalten. Auf dem Wege begrüßten wir der Reihe nach Otto Zimmermann; bei ihm fanden wir auch Henry und seine Frau vor, da ihr eigenes Heim durch Brand total vernichtet war. Dann bei Nagel trafen wir Werkhaupt mit Frau, Frau Stallowski und Tochter und Liese Meilahn mit Mann. Alle können im eigenen Haus nicht mehr leben. Karl Rusch lebt im Pferdestall, ebenso Fitsch. Frau Meilahn sagt mir, dass bei uns auch alles weg sei. Schweren Herzens ging ich näher und fand nur Trümmer. Alles war ausgebrannt. Ein Bettstück lag auf dem Hof. Auch zwei Teller lagen umher, die aber die Polen noch wegnahmen.

 
Ich muss schon sagen, dass ich restlos verzweifelt war, unser schönes Haus so wiederzufinden. Frau Faust bot uns gleich an, mit bei ihr zu wohnen; aber allein ist allein, und "Zuhause kann keiner ersetzen". Auf dem Rückweg begrüßte ich noch Georg Meilahn, dieser bot uns an, die Nächte über, bis wir bei Faustens Ordnung gemacht haben, bei ihnen zu schlafen. Noch am Abend holten wir unsere Sachen nach Rörchen, und wir sind somit am 28.05. wieder in der Heimat.

 

Am nächsten Tag fingen wir dann an, das Haus bei Faustens zu reinigen. Mit der Forke mussten alle Räume ausgemistet werden. Einzelne Sachen von uns fanden wir auch dann wieder. Von allen Sachen, die im Keller versteckt waren, ist fast nichts geblieben. Was noch da war, das ist vermodert und verkommen.

Als wir am vierten Tag das Haus gesäubert hatten, wurden wir zur Arbeit geholt. Die Frauen mussten melken, bekamen dafür Milch; anfangs reichlich, dann nur noch einen Liter pro Tag und Familie. Kartoffeln fanden wir vor, Brot brachten uns Soldaten von der Kommandantur. Soweit ging es uns ganz gut. Die Jungen mussten Schweine hüten, ich auch an einigen Tagen Kühe hüten. Morgens gab es Milch und trockenes Brot, des Mittags und Abends warmes Essen. Die Mädchen und jungen Frauen wurden sehr gesucht und vergewaltigt. Bis dahin hatten wir Ruhe. Eines Nachts mussten wir zwei Soldaten öffnen, die erst uns begehrten. Als sie damit nichts erreichten, suchten sie und fanden mein Kostüm und Burkhards Anzug, beides nahmen sie mit und ließen uns verschont. Dann wurden eines Tages am 12. 06. alle Kühe und Schweine abgetrieben, und die Russen zogen auch ab. 

 

Es hieß, nun kommen Polen. Dies geschah dann auch am 14.06. Ich hatte gerade Wäsche aufgehängt, kam vom Hof, da kommt ein Pole ins Haus und sagt: 'Alles packen, eine halbe Stunde Zeit, dann weg von Zuhause!' Auf meine Frage, wohin und wie lange, nur Achselzucken. Wir alle waren wie geschlagen. Was blieb aber uns übrig, der zurückbleibende Posten mit Gewehr trieb uns zur Eile an. Wir packten auch, diesmal Karren und Handwagen und ließen uns dann von den Polen treiben. An der Ecke vom Park mussten wir halten und alles auspacken. So wurden wir auch fast alles los; meine drei Kleider, Hermanns Anzug und fast alle Strümpfe und Wäsche. Wir sind nun ganz arm. Danach sagten sie zu uns, in Richtung Gollnow können wir gehen, wohin wir wollen.

 Nun sind wir gestern abend in Gollnow bei Regen angekommen. Über Nacht waren wir zu zehn Personen in einem Zimmer bei einer jungen Frau. Heute waren wir beim polnischen und russischen Kommandanten. Ersterer sagte uns, dass er uns nicht helfen könne, der andere gab uns einen Schein, damit konnten wir nach Rörchen zurück. Aber ob wir dort hereingelassen werden, weiß auch niemand. Gern gingen wir auch nach Stettin in Omas Wohnung, aber es heißt ja, wir kommen nicht über die Oder. Besitz- und heimatlos irren wir jetzt umher.

 
Die einzige Hoffnung ist noch, dass mein Mann und Sohn Hermann nach Hause kommen. Ein Weiterleben wäre sonst zwecklos.

 

Wir sind am 16.06 noch einmal nach Rörchen zurückgekehrt, aber die Freude war nur von sehr kurzer Dauer. Wir mussten feststellen, dass viele Familien, wie Köbke, Nagel, Werkhaupt, Meilahn und andere gar nicht weg waren. Die durften nach der Plünderung am Park gleich wieder in ihre Häuser zurück. Dann in den nächsten Tagen wurden wieder einige herausgetrieben, z.B. Georg Meilahn, er kam nur bis zu uns, sah zu, wie bei ihm alles aufgeladen wurde, und ging nach einer Stunde zurück. So wollten wir es das nächste Mal auch machen. Uns war es über, auf der Landstraße zu liegen. So wurden wir am Sonnabend, den 23.06., wieder getrieben. 

 

Die beiden Mädchen, Lotte Faust und Lieselotte Jahn, waren am Morgen um sechs Uhr zur russischen Kommandantur beim Forstamt Pütt zur Arbeit gegangen, und wir lagen noch im Bett, als um sieben Uhr drei Polen kamen, und uns sagten, dass wir in einer halben Stunde gepackt haben sollen. Wir erklärten, dies nicht zu tun, da wir bleiben wollen, aber es half nichts. Wir wurden mit Gewehrkolben zur Eile angetrieben. Da wir aber immer glaubten, wieder zurückzukommen, nahmen wir nicht alles Notwendige mit. So blieb vor allen Dingen der Essvorrat liegen: Salz, Mondamin, Süßstoff,. Bettdecken nahm ich mit. An unsere Sachen, die im Versteck lagen, konnten wir nicht heran. Außer unserer letzten Kleidung lag im Versteck alles, was ich an Geld- und Wertpapieren besaß.. Das musste ich alles aufgeben.

 

Nun ging es los, den Polen gleich hinter uns, als wenn Kühe getrieben werden, jagten sie uns nach Lübzin. Es dauerte lange, aber irgendwann kamen wir an. Nach einigem Warten wurden wir vom Gepäck weggetrieben, und es gab Leibesvisitationen. Erst hieß es, wer zwei oder drei Röcke, Blusen, Kleider und Mäntel anhat, ziehe eines aus; denn es ist nicht üblich, dass im Hochsommer doppelte Kleidung getragen wird. Dann wurde jeder untersucht. Burkhard bangte um die gute, goldene Uhr, die ich immer noch am Leib trage. Dafür wurde er als erster untersucht. Mein schöner großer Kamm, den er im Mantel hatte, war gleich weg. Dann das Bündel mit Siegelring, Manschettenknöpfen und Goldstücken, welches er am Leib trug, war auch gleich gefunden. Die letzten Streichhölzer gingen auch weg. Ich wurde nicht angefasst. Nun ging es ans Gepäck, keiner durfte dabei sein, wir konnten nur sehen, wie unsere Sachen alle auf die andere Seite flogen, gute Decken, wollene Sachen und anderes. Wie dann alles geplündert war, konnten wir einpacken, nur Handgepäck, die Wagen mussten alle stehen bleiben. Da wir von Ernst Bolsius die beiden Kinder bei uns hatten, konnte ich zu Anfang den Handwagen behalten und den kleinen Jungen darauf setzen.

Die Freude war aber nur kurz, und wir wurden dann in einem großen Kahn gleich bis Pölitz befördert.

 

Hier fanden wir bei einer sehr netten Postbeamtin Quartier. Am nächsten Tage hofften wir dann, die Eltern der Kinder und die zurückgebliebenen Mädels würden kommen; aber vergeblich. 

 

So ging ich mit Frau Faust allein nach Jasenitz in der Hoffnung, hier Unterkommen zu finden. Viele liebe Menschen von früher begegneten mir. Frau Faust fand bei Franz Schmidt Quartier, da ihm die Frau gestorben war, sollte sie dort wirtschaften. Ich nahm mit Burkhard und den beiden Kindern Wohnung bei Meta Linse am Friedhof. Unten ist es ja nicht sehr sauber; aber oben die kleine Wohnung haben wir ganz für uns allein und leben nach unserer Sitte. Am 25.06. machte ich mir die Wohnung sauber und zog am Abend hier ein. Da wir inzwischen hörten, dass die anderen über Altdamm und Stettin herausgekommen sind, machten wir uns am 27.06. zu Fuß auf den Weg nach Stettin, um nach Omas Wohnung zu sehen."

 

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